MfA_3_2021

Magazin für Amerikanistik
3. Quartal 2021
1. Präsident Biden nominiert Muscogee-Richterin für das Bundesgericht in West-Washington
Die Angehörige des Muscogee-Volkes, Laura King, wurde im Mai diesen Jahres von Joe Biden zur Bundesrichterin benannt. Damit ist King bereits die dritte Indigene, die für einen Sitz in einem Bundesgericht nominiert wurde. Seit 2012 ist sie als Anwältin tätig und war am intertribalen Gericht für den amerikanischen Nordwesten als Richterin aktiv. Außerdem ist sie Mitglied im Ausschuss der Glücksspielkommission für den Staat Washington und Professorin für indianisches Bundesrecht an der Universität von Seattle.
Der Staat Washington, im Nordwesten der USA ist die Heimat von 29 bundesrechtlich anerkannten Indianerstämmen. Das macht die Stellung von Ms. King besonders bedeutsam.
Alle Stammesorganisationen begrüßen die Ernennung und weisen darauf hin, dass eingeborene Amerikaner immer noch als Richter bzw. Richterinnen unterrepräsentiert sind.

2. Innenministerin Haaland hebt Beschränkungen der Trump-Administration auf
Die Trump-Regierung hatte Bestrebungen, früheres Stammesland wieder in Besitz zu nehmen und dessen Entwicklung finanziell zu fördern, eingeschränkt. Die neue, indigene Innenministerin Deb Haaland hob diese Beschränkungen nun auf.
Ihr Statement:
„Wir sind im Innenministerium verpflichtet, mit den Stämmen zusammen zu arbeiten, um ihr Land zu schützen und sicherzustellen, dass jeder Stamm ein Heimatland hat, in dem seine Bürger zusammen leben und ein sicheres und erfülltes Leben führen können. Unsere heutigen Maßnahmen werden helfen, dieser Verpflichtung nachzukommen und die Stämme in die Lage zu versetzen, zu bestimmen, wie ihr Land genutzt wird – von der Erhaltung bis zu wirtschaftlichen Entwicklungsprojekten.“

Die Trump-Regierung hatte diese Entwicklung verzögert und mit bürokratischen Hürden behindert. Das hatte zu erhöhten Kosten für Wohnprojekte, die Verwaltung von Strafverfolgungsbehörden und die Entwicklung lokaler Volkswirtschaften geführt.

3. Leichen von 215 Indianerkindern entdeckt
 Vorab eine Anmerkung von RH zum geschichtlichen Hintergrund:
Nachdem aus Sicht der Euro-Amerikaner klar war, dass die europäischen und indianischen Kulturen nicht „kompatibel“ sind, propagierten die Hardliner die Ausrottung der indigenen Völker und die „Indianerfreunde“ deren Umerziehung zu europäischen Werten und Lebensweisen, sowie der christlichen Religion. Man wollte das „Wilde“ zerstören, das nicht in die moderne, zivilisierte Welt passte.
„Tötet den Indianer (in ihnen) und rettet den Menschen“ war das Motto
Die praktischen Mittel dazu waren – in den USA, wie in Kanada – die Indianerinternate (USA: Boarding Schools / CAN: Residential Schools). Dort sollten die Kinder alles „indianische“ verlieren und als neu geborene „Weiße“ ein neues – nun eurokompatibles – Leben beginnen. Der Staat stellte die Schulen und finanzielle Mittel und die Kirchen die meisten Lehrkräfte und Betreuer. Den pädagogischen Vorstellungen dieser Zeit entsprechend, waren die Mittel zur „Umerziehung“ vor allem Zwang. Indianische Sprachen und Gebräuche standen ebenso unter (Prügel-)Strafe, wie indianische Kleidung, Haartracht etc. Statt Liebe und Verständnis, die den Kindern hätten helfen können, die fremde Welt besser zu verstehen, gab es Hiebe, ein Erziehungsstil, der den meisten Stämmen unbekannt war. In St. Anne’s, Fort Albany (Ontario) gab es wohl sogar einen „elektrischen Stuhl“, der dazu diente unfolgsamen Kindern Stromschläge zu verpassen.
Hinzu kam, dass die Schulen Anziehungspunkte für Pädophile waren, weil dort zum einen Kinder reichlich verfügbar waren – und es zum anderen kaum jemand gab, der den Erzählungen der Kinder Glauben schenkte. Es waren ja bloß Wilde.

Krankheiten und schlechte Behandlung forderten viele Opfer, die nun nach und nach gefunden werden.
So schätzt man, dass allein in Kanada einige Tausend Kinder „verschwanden“. Mit einer neuen Suchmethode beginnt man nun die Umgebung der ehemaligen Internate auf anonyme Grabstätten zu untersuchen. Indigene Historiker erwarten, dass man bei praktisch jeder der ehemaligen Schulen, die teilweise noch bis in die 1990er-Jahre in Betrieb waren, Kinderleichen finden wird.
Der kanadische Film, „We were Children“ hinterlässt einen tiefen Eindruck dessen, was die Kinder durchmachen mussten.
Für die Kinder – heute Erwachsene – und deren Familien und Gemeinden haben die Schulen ein tiefgehendes Trauma, eine Deformation hinterlassen. Die umerzogenen Kinder waren keine Indianer mehr, aber auch keine Weißen. Oder, wie Sitting Bull es ausdrückte: Nicht Wolf, nicht Hund. Nicht umsonst nennen sich viele Ehemalige „Survivors“ (Überlebende)… )
Ende der Anmerkung

Ende Mai 2021 wurden auf dem Gelände der Kamloops Indian School die Leichen von 215 Indianerkindern gefunden. Die Schule war um 1880 errichtet worden und rund 100 Jahre in Betrieb. Der Tod der Kinder wurde von der Schulleitung nicht dokumentiert. Daher sind die Todesursachen unklar. Offensichtlich fehlte es auch an Geld für angemessene Ernährung.
Die Leichen sollen jetzt gerichtsmedizinisch untersucht werden. Schon 2015 hatte eine Kommission festgestellt, dass ab 1874 etwa 150.000 Kinder von kanadischen indigenen Völkern und Inuit von ihren Familien getrennt und zwangsweise in Internate verbracht worden waren, um ihre Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft zu erreichen. Viele wurden misshandelt und mindestens 3.200 starben in den Internaten, meist an Tuberkulose. Die sozialen Folgen wie Alkoholismus, häusliche Gewalt und hohe Selbstmordraten werden den Internatsschulen bis heute angelastet. 2008 hatte sich die kanadische Regierung offiziell für die Internatsschulen entschuldigt.

Anmerkung von RH:
Eine Entschuldigung der katholischen Kirche steht bisher aus.
 
4. Innenministerin Deb Haaland kündigt die För
derung von Jugend- und Umweltschutzprojekten auf Reservationen an
927.000 USD wurden im April von Innenministerin Haaland angekündigt. Sie sollen für das „Tribal Youth Coastal Restoration Program“ verwendet werden, das 6 Umweltschutzprojekte umfasst, die 1.000 Acres (1 Acres = 4047m²) mit reichhaltigem Tierleben auf Stammesland an der Küste restaurieren sollen. 

Mit dem Geld werden nicht nur Umweltschutzaktivitäten finanziert, sondern es werden auch neue Arbeitsplätze im Umweltschutz und Ausbildungsprogramme für die künftigen Ranger bezahlt. Es geht auch darum, die nächste Generation von Amerikanern für den Schutz, die Erhaltung und Wiederherstellung der öffentlichen Gebiete und Gewässer zu sensibilisieren. So die neue Innenministerin.

5. Afro-Amerikanischer und indianischer Friedhof in Virginia unter Schutz
Dieses Jahr, am 11. Mai, versprach die Verwaltung des Prince William County in Nord-Virginia den Nachkommen von 100 schwarzen Sklaven ihre Unterstützung. Gräber ihrer Vorfahren befinden sich auf privatem Landbesitz, der nun von den Eigentümern landwirtschaftlich genutzt werden soll.
Die betreffende Gemeinde „Thoroughfare“ liegt etwa 40 Meilen östlich von Washington DC. Sie wurde bereits sehr früh während der Kolonialisierung besiedelt. Dadurch gibt es dort mehrere historische Friedhöfe. Nach dem Bürgerkrieg siedelten befreite Sklaven in dem Gebiet und gründeten dort Farmen.
Heute gehört das Gebiet einer Brauerei, die auf dem, bisher brachliegenden Land, Mais und Sonnenblumen anpflanzen will. Hinzu kommt, dass offenbar auch indianische Bewohner der Region dort beerdigt wurden. Gegen die Brauerei, die nach eigenen Angaben nichts von der Vorgeschichte des Landes wusste, wurde inzwischen eine Anzeige wegen „Störung der Totenruhe“ aufgegeben.
Nun soll das Gebiet genau vermessen werden, um die Grenzen des historischen Friedhofs ausfindig zu machen und aus dem Vorhaben auszuklammern.

6. Oberstes Gericht stärkt die Souveränitätsrechte von indianischen Behörden
Bislang durften indianische Polizeikräfte – Stammespolizei – in den Reservationen nur begrenzt gegen nicht-indianische Straftäter vorgehen. Vor allem auf den Straßen der Reservationen durften Verstöße gegen bundesstaatliche Verkehrsregeln von der Stammespolizei nicht verfolgt werden, wenn der Täter ein weißer Amerikaner war. Indianische Behörden waren nur für indianische Straftäter zuständig.
Das ändert sich nun durch ein einstimmiges Urteil des obersten Gerichts in Washington. Geklagt hatten Behörden der Crow-Reservation, weil einem Crow-Polizisten untersagt worden war, einen weißen Autofahrer festzunehmen, der Waffen und Drogen transportierte. Das oberste Gericht erklärte nun, die Stämme hätten das Recht, sich selbst zu schützen und daher auch gegen nicht-indianische Täter vorzugehen.

7. „Unser heiliges Land behält seinen Frieden“
Mehrere Indianervölker von South Dakota liegen im Streit mit der Regierung des Bundesstaates, seit die Republikanerin Kristi Noem zur Gouverneurin (vergleichbar unseren Ministerpräsidenten) gewählt wurde. Jetzt im Juni siegte der Stamm der Cheyenne-River-Sioux zum wiederholten Male vor einem Bundesgericht. Es ging um die Vertragsrechte im Zusammenhang mit sakralen Orten, die von der Gouverneurin nicht beachtet wurden.

Konkret ging es um ein großes Feuerwerk zum 4. Juli am Mount Rushmore (wo die vier Präsidentenköpfe in den Fels gehauen wurden und der zu den Black Hills gehört), das Kristi Noem zu Ehren eines Besuches von Donald Trump veranstaltet hatte. Die Lakota protestierten heftig, da nach ihrer Ansicht ihnen die Black Hills von den USA gestohlen wurden (Anm.: siehe Vorgeschichte der Schlacht am Little Bighorn).
In einem 36-seitigen Urteil verdonnerte das Gericht die Gouverneurin dazu, zukünftig auf solche Machtdemonstrationen zu verzichten und die heiligen Städten der Lakota zu achten. Trotzdem plant Kristi Noem auch zukünftig große Feuerwerke an nationalen Feiertagen in diesem Gebiet. Sie hat wiederum die neue Innenministerin Deb Haaland verklagt, weil der Nationalpark Service gleich nach dem Regierungsantritt von Joe Biden Feuerwerke am Mount Rushmore untersagt hatte. 

Die Lakota und Kristi Noem sind auch während der Corona-Pandemie aneinander geraten, weil die Stämme die Durchfahrtsstraßen durch das Reservat gesperrt hatten, um das Eintragen des Virus von außen zu verhindern. Bekanntlich haben die indigenen Völker sehr schlechte Erfahrungen mit eingeschleppten Seuchen gemacht. Daraufhin hatte die Gouverneurin die Bundesregierung (damals noch unter Donald Trump) um Hilfe gerufen. Die Indianerbehörde (BIA) drohte daraufhin der Cheyenne-River-Reservation mit dem Entzug finanzieller Mittel und wollte sogar Bundespolizei schicken, um die Straßensperren zu beseitigen. Mit dem Regierungswechsel zog nun allerdings ein anderer Wind ein und Joe Biden ist um Entspannung bemüht. Der Bundesrichter, der in Sachen Feuerwerk entschieden hatte, erklärte, derartige Veranstaltungen würden den Beziehungen zwischen dem Staat und den Indianernationen schaden.

8. Aus für die Keystone Pipeline
Die KP war in der Vergangenheit hoch umstritten. Es wurde um sie auch mit Gewalt gekämpft. Nun ist sie offiziell für erledigt erklärt worden. Die Betreiberin, die kanadische TC ENERGY, verkündete das Aus. Die Firma versprach die Beseitigung der Pipeline, die derzeit noch von den Ölfeldern in West Kanada bis Steele City in Nebraska reicht. Dies soll sicher und ohne Schädigung für die Umwelt geschehen, so die Betreiberin. Auch sollen die betroffenen indigenen Völker konsultiert werden, die sich heftig gegen die Pipeline gewehrt hatten.

Das „Indigenous Environmental Network“ war vor über 10 Jahren gegründet worden, um gegen Keystone XL vorzugehen. Die Pipeline hätte von Nord-Alberta bis zum Golf von Mexiko führen sollen. Dabei kreuzte sie auch Gebiete einiger indigener Völker und Farmland. Da es immer wieder Lecks gab, aus denen Öl austrat, war die Pipeline ein großes Risiko für das Grundwasser und die Umwelt. Auch die Beseitigung wird mit weiteren Umweltschäden einhergehen.
Der Bau der 1.200 Meilen langen Pipeline war von Präsident Obama gestoppt, von Präsident Trump dann erneut erlaubt worden. Jetzt kam das endgültige Aus, obwohl die Regierung Kanadas die USA drängte, das Verbot wieder aufzuheben, da der kanadische Staat über eine Milliarde Dollar in den Bau investiert hatte.
Für die indigenen Völker ist das ein großer Sieg.

9. Chief Leonard Crow Dog gestorben
Wer das Buch „Lakota Woman“ von Mary Crow Dog u. Richard Erdoes gelesen hat oder den Film „Thunderheart“ sah, erfuhr auch etwas über Leonard Crow Dog, Sincangu Lakota (Rosebud) und spiritueller Führer.
Er war einer der letzten großen Schamanen der Lakota. Er besuchte nie eine Schule, sondern wurde von seinem Vater Henry Crow Dog und anderen Ältesten in den alten Traditionen unterrichtet. Er war auch der spirituelle Berater des American Indian Movement und enger Freund von Russel Means.
1972 nahm er am Trail of Broken Treaties mit der Besetzung des Washingtoners Hauptquartiers des Bureau of Indians Affairs und an der Besetzung von Wounded Knee 1973 teil, wo er dann festgenommen wurde und zwei Jahre im Gefängnis saß.

Nach seiner Rückkehr hielt er wieder Schwitzhütten- und Peyote-Zeremonien ab, sowie Sonnentänze und andere spirituelle Praktiken. Nun ist er im Alter von 78 Jahren gestorben. Er hinterlässt seine Frau, Kinder, Enkel, Urenkel und weitere Verwandte, sowie viele Freunde und Anhänger.

10. Sieg der Indianerstämme Oklahomas
Erneut siegten die Indianervölker Oklahomas vor einem Bundesgericht gegen den Gouverneur Kevin Stitt. Kevin Stitt ist auch Bürger der Cherokee-Nation, obwohl seine indianische Abstammung immer wieder angezweifelt wird.
Der Streit geht um die Lizenzverträge für die Spielkasinos, die von den verschiedenen Stämmen betrieben werden. Der Gouverneur möchte neue Verträge mit den Völkern aushandeln, die dem Bundesstaat einen höheren Anteil an den Einnahmen aus den Glücksspielen sichern sollten. Immerhin hatten die Kasinos seit 2005 rund 1,28 Milliarden US-Dollar in die Kassen des Bundesstaates fließen lassen. Der Gouverneur sieht die alten Verträge als verfallen an, eine Einschätzung, die das Gericht nun eindeutig zurück wies. Die Vereinbarungen werden daher auch weiter automatisch verlängert. Interessanterweise ist die Auffassung Kevin Stitts auch unter seiner eigenen Regierung umstritten. Der Justizminister von Oklahoma lehnte neue Verträge mit den Stämmen ebenfalls ab.

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