RudolfH

Reise ins Pine Ridge Indianerreservat
vom 03.06 bis 17.06.2018


Vorbemerkung:
Nachdem ich mich nun jahrelang mit der Geschichte und dem ak-tuellen Leben der „American Natives“, insbesondere der Lakota beschäftigt habe – und sie über Andrea auch unterstütze, wollte ich mir einen eigenen Eindruck verschaffen, mit was sie sich heute so rumschlagen müssen. Da war es ein Glück, dass ich noch in der Gruppe mitkonnte, die Andrea dieses Jahr wieder ins Pine Ridge Reservat führte.
Zwar hatte ich Wendell Yellow Bull letztes Jahr bei seinem Besuch in Deutschland kennengelernt und per Mail und WhatsApp Kontakt gehalten, aber allein hätte ich mich das erste Mal nicht ins „Res“ getraut – aus Angst, gleich in die Touristenschublade gesteckt oder als "Wasicu" ( Weißer, aber wörtlich: „die sich die besten Stücke raussuchen..“)  abgelehnt zu werden.
Viele Deutsche und sicher auch viele weiße Amerikaner haben sehr romantische Vorstellungen vom Leben der Indianer, vom Leben der Natives. Diese haben aber oft nur wenig mit den Realitäten der Stämme zu tun – weder mit den vergangenen, noch mit den heutigen.

Früher war das Leben in der Natur hart, denn die Aussage, dass die Indianer, die Natives in Harmonie mit der Natur lebten, bedeutet ja nicht, dass es sich dabei um ein Kuschel-Verhältnis gehandelt hat. Ein Grizzly ist kein Schmusetier, genauso wenig wie ein Büffel und eine Büffeljagd ist eine blutige Angelegenheit. Ein langer Winter konnte den Tod bedeuten, wenn die Vorräte nicht ausreichten. Von den Auseinandersetzungen der Stämme untereinander ganz zu schweigen. Diese Rea-litäten werden – insbesondere in esoterischen Kreisen – gerne ignoriert, stören sie doch das Bild vom Indianer als „Öko-Heiligen“, der mit der Natur „kuschelte“.

Die Indianer akzeptierten die (harten) Regeln der Natur und dazu gehört eben auch das Töten, das Getötet werden, sowie Hunger und Kälte.
Ihre spirituelle Vorstel-lungswelt half ihnen dabei, auch mit diesem Härten fertig zu werden. Sie wollten (und konnten) die Natur nicht ändern, sondern haben sich ihr angepasst. Ihre Kultur basierte auf Anpassung, während unsere auf Kontrolle der Natur beruht.

Wer heute unvorbereitet mit romantischen Vorstellungen in ein Reservat kommt, wird daher sicher enttäuscht.

Nicht nur wegen der immer noch verbreiteten Armut, sondern einfach auch weil der Alltag der Lakota (und anderer Stämme auch), sich nur wenig vom üblichen American Way of Life unterscheidet.
Der Umweltschutzgedanke im Alltag beispielsweise, wie er hier in Deutschland zelebriert wird, hat dort noch relativ wenig Anhänger – weder bei den Weißen, noch bei den Natives.
Beim Frühstück im stammeseigenen Hotel oder bei Festen wird ausschließlich Wegwerfmaterial verwendet, wie Plastikteller, Plastikbecher, Plastikbesteck. Die Mülleimer sind riesig, Mülltrennung gibt es nicht. Alles was man eben nicht mehr braucht, wird weggeworfen und entsprechend sieht's dann hier auch aus. So manches Grundstück gleicht eher einem Schrottplatz, als einem Garten. Statt teurer Ersatzteile kauft man lieber einen alten Wagen und schlachtet den aus. Und da die Entsorgung Geld kostet – und man ja nie weiß, wann man die alte Karre doch noch brauchen kann – bleibt der Schrott eben stehen.
Im ortseigenen Supermarkt findet man die gleichen Convenience-Produkte wie in anderen Supermärkten auch, also Fertigprodukte, Fertiggerichte, Süßigkeiten und so weiter.

Die Haltung zur Natur der Lakota zeigt sich primär in ihrer spirituellen Haltung, weniger im Alltagsverhalten. Anders gesagt man betet zu den Naturgeistern und wirft anschließend die Plastiktüten ins Gras.
Hier steckt wohl auch noch ein wenig das alte Nomadenverhalten drin – wenn man weiterzog, blieb der Abfall liegen – nur, dass man früher eben nur natürliche Materialien hatte wie Leder, Knochen, Holz, die sich biologisch abbauen ließen, was man vom heutigen Material leider nicht sagen kann.

Die Spiritualität der Lakota ist nach wie vor vorhanden, aber man muss sie etwas suchen, sie zeigt sich in den Festen, in den Gebeten und in bestimmten traditionel-len Ritualen wie dem Sonnentanz, aber nicht unbedingt im Alltag.
Auf diese Realitäten sollte man sich also einstellen, wenn man ein Reservat besucht.

Anreise:
Am 02.06 um die Mittagszeit fuhr ich mit dem ICE nach Frankfurt am Main Flughafen. Mit dem Shuttle kam ich dann ins Post-Hotel in einem Vorort, wo ich übernachtete und am 03.06 morgens ich mit dem Shuttle wieder zum Flughafen gebracht wurde.
Unser Flug nach Dallas Texas startete um 11:05 Uhr in Frankfurt und wir kamen am Nachmittag Ortszeit in Dallas an, nach etwa 9 Stunden und 40 Minuten Flug. Gegen 18 Uhr ging es dann weiter mit dem Anschlussflug nach Rapid City in South Dakota.

Wir kamen dort etwa um 20:30 Uhr Ortszeit an und wurden von Andrea und TC bereits erwartet, die uns zu unserer nächsten Station, dem Haus von Richard Sherman, einem pensionierten Lakota-Biologen, brachten, der uns ebenfalls am Flughafen erwartet hatte.
Richard wohnt außerhalb der Reservation, etwa 5 Minuten vom Flughafen entfernt in einem gemütlichen Blockhaus, das weitaus geräumiger ist, als man von außen vermutet. Es gehört zu den vergleichsweise wenigen Häusern, die einen richtigen Keller haben – und daher auch 3 Gästezimmer und zwei Rest Rooms.
Dort bezogen wir unsere Zimmer und setzten uns am Abend noch kurz zusammen bevor wir alle müde ins Bett gingen.

1. Tag:
Am nächsten Morgen machte sich unsere Reisegruppe fertig zur Abfahrt. Unsere Reisegruppe besteht aus Andrea Cox und ihrem Mann Chris (TC), der auch unser Fahrer war – und diesen „Job“ perfekt meisterte. Und das mit unserem „Monster Van“. Außerdem sind dabei Birgit 1, Birgit 2., Birgit 3, Reiner und ich. Im Hotel im Reservat warteten noch Wendelin und Bettina auf uns.

Die Zimmer im stammeseigenen Prärie Wind Hotel und Casino sind gut ausgestattet, sehr sauber und mit allem Komfort den man heute so gewöhnt ist. Allerdings sieht man im Hotel an einigen Stellen, dass ein gewisser Investitionsstau vorherrscht. Die unvermeidliche (und notwendige) Klimaanlage kühlt alles auf Kühlschranktemperatur herunter.

Am Abend gegen 21.00 Uhr kamen dann mein Freund Wendell und Loreal, seine neue Partnerin zu uns ins Hotel und wir saßen noch bis ca. 24 Uhr draußen zusammen.

2. Tag:
Gegen 8:30 Uhr trafen wir uns vor dem Hotel um dann gemeinsam abzufahren zur nächsten Station, dem Ort White Clay in Nebraska direkt hinter der Reservatsgrenze. Bis vor einem Jahr war White Clay berüchtigt als Quelle für Alkohol, vor allem für die Reservatsbewohner.
Im Reservat selbst ist Alkohol verboten, aber die Leute brauchten ja nur eine halbe Meile über die Grenze zu gehen und konnten sich dann mit Spirituosen und Bier eindecken, ein gutes Geschäft für die sieben Menschen, die in White Clay lebten und dort Getränkehandlungen betrieben.
Ständig kam es zu Todesfällen und Unfällen durch Betrunkene, die entweder auf der Straße lagen oder mit ihren Autos in den Graben fuhren. 


Inzwischen wurde den Getränkehandlungen die Lizenz entzogen, auf Betreiben des Stammes. Die ehemaligen Getränkehandlungen sind jetzt Imbissstuben oder Souvenirläden. Im Imbiss frühstückten wir und das Essen war gut. Nur die Toilette war etwas unkonventionell…
Im Imbiss trafen wir auch Wendell und Loreal, die uns heute zu unserer ersten Station, der Red Cloud Indian School, begleiteten. Diese Schule wurde ursprünglich von Jesuiten gegründet, wird aber heute von Lakota geleitet. Sie bietet alle Schulstufen von der Elementarschule über Mittelschule bis hin zum Abitur.

In der Schule gibt es auch eine kleine Galerie mit Ausstellungsstücken von einhei-mischen Künstlern und Absolventen der Schule.
Man findet dort Schmuckstücke, Schnitzarbeiten, Perlenarbeiten, Kleidungsstücke, aber auch eine ganze Reihe von Bildern, darunter einige sehr schöne und eindrucksvolle. Wendell erklärte uns die Bedeutung von einzelnen Symbolen und Kleidungsstücken.

Woran erkennt man zum Beispiel, ob ein Mokassin von Cheyenne hergestellt worden ist oder von Lakota?
Ganz einfach: An den Mustern, die bei Lakota geometrisch sind, während Cheyenne Blumen bevorzugen.

So hat die Libelle – englisch Dragonfly - die Aufgabe, Botschaften zu überbringen. In der Lakota-Mythologie ist sie ein Lebewesen, das quasi wiedergeboren wird durch die Metamorphose und sie bringt auch Botschaften von Verstorbenen, also aus der anderen, aus der geistigen Welt (Spirit World). Der Schmetterling wiederum ist ein Bote der Erneuerung (Stichwort: Frühling), sowohl im jahreszeitlichen, als auch im übertragenen Sinn.

Nach dem Besuch der Schule gingen wir zum nahe gelegenen Friedhof, auf dem sich auch das Grab von Chief Red Cloud und seiner Ehefrau befindet

Red Cloud ist einer der bekanntesten und berühmtesten Häuptlinge der Lakota. Er war der einzige Lakota-Führer, der jemals einen Krieg gegen die Vereinigten Staaten gewann. Die Kosten des Red Cloud Wars waren für die US-Regierung so hoch, dass man lieber einen Friedensvertrag anbot. (An den man sich dann allerdings nicht sehr lange hielt). Er wurde 1868 in Fort Laramie geschlossen und gilt – aus Sicht der Lakota – noch heute.
Aber er war nicht nur ein großer Anführer, er war auch ein kluger Mensch und erkannte nach Besuchen in Washington (Ostküste), dass die Lakota niemals eine Chance haben würden gegen diese Menschenmassen und gegen die Technologie, über die die Vereinigten Staaten verfügten. So bereitete Red Cloud seine Leute frühzeitig auf die neue Welt vor, in der sie in Zukunft überleben mussten. So war es ihm auch wichtig, dass die Kinder eine Schulbildung bekamen, sowie lesen und schreiben lernten.

Diese Erkenntnis stand auch hinter der Gründung der Red Cloud Indian School.

Wendell erzählte uns auf dem Friedhof viel über seinen berühmten Vorfahren, seinen Ur-Urgroßvater. Red Cloud machte sich mit seiner Weitsicht allerdings nicht nur Freunde. Es gab viele Krieger, die lieber weitergekämpft hätten, obwohl das nur zum Untergang des Volkes geführt hätte. Noch heute gibt es viele, die Red Cloud für einen Verräter halten. Insbesondere die Crazy-Horse-Familie ist hier sehr negativ eingestellt.

Der nächste Programmpunkt drehte sich um das Thema Wohnen. Bekanntlich sind Indianerreservate häufig mit sehr einfachen und zum Teil auch sehr reparaturbedürftigen Wohngelegenheiten ausgestattet. Wir besuchten die Hauptstadt des Reservats, Pine Ridge. Dort ist es so, dass auf den normalen Hauptstraßen die Häuser eigentlich relativ ok aussehen – einfach und funktionell - es ist auch deutlich sauberer als man das von Filmen, die 20 Jahre alt sind, noch kennt.
Insofern war ich hier positiv überrascht.  Offensichtlich hat sich die Gesamtsituation schon verbessert. Man sieht auch lange nicht so viele „Reservation cars“, sprich Schrottkarren, die kaum noch fahren können, wie das in älteren Dokumentationen geschildert wurde. Die meisten Autos sind zwar nicht unbedingt das neueste Modell aber mehr oder weniger in Ordnung, auch wenn der deutsche TÜV hier sicherlich den einen oder anderen Einwand hätte.

Verlässt man jedoch die Hauptstraße und fährt in die Nebenstraßen, dann sieht man immer wieder genau die Häuser, die man eben auch aus dem älteren Dokumentationen kennt. Zerfallen, Fenster eingeschlagen und mit Brettern zugenagelt, umgeben von Autowracks und anderem Schrott, also genau das was, man sich typischerweise unter einem Slum vorstellt.


Die Menschen, die dort leben, leiden unter Hygienemängeln, wie Kakerlaken und Schimmelbefall, weil viele der Häuser feucht sind und die Dächer nicht mehr dicht und entsprechend groß sind auch die gesundheitlichen Probleme der Bewohner.
Loreal erzählte uns, das Hauptproblem ist, dass die meisten Menschen im Reservat eigentlich nur von Tag zu Tag überleben und die wenigsten von ihnen sich weitergehende Gedanken machen, langfristige Perspektiven anstreben und so ändert sich letztlich auch nichts. Aber die Menschen sind gefangen im täglichen Überlebenskampf, Hauptsache es reicht noch bis zum nächsten Tag.

Hier versucht Wendell diese Haltung, dieses Denken zu verändern. Es ist aber schwer, weil die Leute tatsächlich schauen müssen, wie sie den nächsten Tag überleben, wie sie genügend Nahrung oder Gas haben, ihre Telefon- und Stromrechnungen bezahlen können. Jobs sind immer noch Mangelware und die Sozialhilfe reicht hinten und vorne nicht.
Hinzu kommt natürlich die Resignation, die über sechs Generationen nun die gesamte innere Haltung bestimmt.

Wir verlassen Pine Ridge und fahren weiter Richtung Wounded Knee, dem Ort des Massakers von 1890, wo die Getöteten im Massengrab liegen. Wounded Knee stellt offiziell das Ende der Indianerkriege dar. Hier schoss am 29.12.1890 die US-Armee eine Gruppe von – kaum bewaffneten – Minneconjou-Lakota unter Häuptling Si Tanka (Bigfoot) zusammen. Die meisten der rund 200 Toten waren Frauen, Kinder und Alte. Für diese Heldentat gab es 17 Ehren-Medaillen, die höchste militärische Auszeichnung der USA. In keiner anderen Schlacht, nicht in den beiden Weltkriegen, nicht in Korea, nicht in Vietnam, nicht im Irak oder sonst irgendwo, gab es jemals so viele dieser Orden für US-Soldaten…

Loreal ist Vorsitzende der Vereinigung der Nachkommen der Überlebenden von Wounded Knee und sie engagiert sich stark für den Erhalt und den Schutz dieser Gedenkstätte. Über viele Jahre hinweg wurde die Gedenkstätte auch von Stammesangehörigen missbraucht, die hier Schmuck und Kunsthandwerk an Touristen verkauften und damit die Würde des Ortes verletzten.
Loreal und ihre Vereinigung haben diese Leute aus der direkten Umgebung des Mahnmals vertrieben, was zu viel bösem Blut führte und auch zu persönlichen Beleidigungen und Bedrohungen. Ihr Bruder hält dort Tag für Tag Wache und sorgt dafür, dass die Händler sich dem Ort nicht mehr nähern. Dafür wurde er schon häufig bedroht. Die Kamera trägt er als Mittel zur Beweissicherung  (Dokumentation von Angriffen).

Wendell hielt uns einen Vortrag über die Geschichte von Wounded Knee, wie die Besiedelung aus der Sicht der Natives erlebt wurde und auch, wie er das heutige Amerika sieht.

Im Wounded Knee Distrikt lebt auch die Familie von Loreal mit vielen Menschen - etwa 20 - in einem relativ kleinen Haus, das auch nicht mehr im besten Zustand ist – vorsichtig ausgedrückt. Wir wurden von Loreals Mutter herzlich empfangen. Wendell und Loreal fuhren mit uns dann weiter zu unserer nächsten Station, dem Oglala Lakota College.

Am College studieren derzeit etwa 1800 Studenten in verschiedenen Ausbildungswegen, beispielsweise Krankenschwester/Krankenpfleger, aber auch Jura, Naturwissenschaften und BWL/Management.
Das College verfügt ebenfalls über ein kleines Museum, in dem eine geführte Präsentation die Geschichte der Lakota, die Konflikte mit den Siedlern und den Solda-ten bis hin zu Wounded Knee vermittelt.


Es ist sehr heiß, etwa 38 Grad Celsius und außerdem sind wir hungrig, so be-schließen wir jetzt in der Nähe in einer von Lakota geführten Gäste-Ranch Abend zu essen.
Nach dem Abendessen geht es noch zu KILI Radio, der stammeseigenen Radiosta-tion, etwa 25 Meilen von dem Lakota College entfernt. Diese Radiostation war in der Vergangenheit und auch heute oft die einzige Möglichkeit Nachrichten im Reservat durchzugeben. Der Sender lebt von Spenden und der ehrenamtlichen Arbeit seiner Moderatoren und Techniker.

KILI Radio bietet ein Radioprogramm von morgens bis nachts mit Musik, Informationen und Werbung. Also ein ganz normaler Sender, aber mit reservatsspezifischen Informationen und auch manchmal mit etwas anderer Musik.
Wendell forderte uns auf, doch eine kurze Grußbotschaft übers Radio an die Lakota Nation zu senden. Zuerst zieren sich alle etwas, dann erklären sich Andrea und anschließend ich uns bereit, eine kurze Grußbotschaft übers Mikro an die Lakota zu senden. Ausgerechnet beim Gruß an die „Oglala Lakota Nation“ verhaspel ich mich an den drei Wörtern und muss mich korrigieren. Aber alle fanden das lustig und meinten, das würde niemand stören. Sei es drum…

Von KILI Radio aus fahren wir noch einmal nach Wounded Knee, setzen dort Loreal und Wendell ab und fahren dann weiter in unser Hotel. Am Himmel haben sich inzwischen beeindruckende Gewitterwolken gebildet, es regnet ein wenig, aber es gibt dann letztlich doch kein Gewitter bei uns. Stattdessen gelingen uns einige eindrucksvolle Bilder mit Sonnenuntergang und dunklen Gewitterwolken darüber.

Wir sind alle geschafft von diesem langen Tag und gehen früh ins Bett.

3. Tag:
Wir treffen uns morgens, um etwa 8.30 Uhr zum Frühstück im Casino und fahren danach zu Wendells Haus in der Nähe von Pine Ridge, um dort Loreal abzuholen. Wendells Grundstück sieht ziemlich indianisch aus, das heißt es liegt viel rum, an dem man rumbasteln könnte, wenn man die Zeit dazu hätte…
Mit Loreal an Bord fahren wir ein Stück weiter nach Slim Butte, wo die Crazy Horse Rider, die zurück gekommen sind, eine Pause eingelegt haben und sich dort im Camp erholen.
Dort treffen wir auch Wendels Söhne Peji und Davis, sowie seinen Enkel Darren.

Die Crazy Horse Rider werden am nächsten Tag in Pine Ridge einreiten. wo sie vom Volk empfangen und geehrt werden. Dabei wollen auch wir als Zuschauer dabei sein.

Doch jetzt fahren wir erst mal weiter in die Black Hills hinein zu unserem ersten Ziel, der Wind Cave. In der Mythologie der Lakota spielt die Wind Cave eine große Rolle, denn nach ihrer Überlieferung kamen sie aus dieser Höhle heraus und betraten dann zum ersten Mal die Erdoberfläche.


Leider hätten wir auf den nächsten Führungstermin in die Höhle zu lange warten müssen und daher verzichten wir auf die Führung und schauten uns stattdessen das dortige Museum bzw. die Ausstellungsräume an.
Weiter geht es in die Black Hills hinein und wir folgen dort dem Needle Highway, einer Hochstraße, die umsäumt ist von Felsformationen, die aussehen wie Felsnadeln.
An einem Halt treffen wir auch Wendell wieder, der uns mit seinem Auto nachgefahren ist, weil er heute an einem Meeting teilnehmen musste. Er reorganisiert aktuell die Feuerwehr des Stammes.

Das nächste Ziel ist der Ort Custer, wo wir in einem Café eine kurze Pause einlegen - und weiter geht es in die Black Hills zum Crazy Horse Monument.


Das Crazy Horse Monument ist die Lakota Antwort auf die vier Präsidenten am Mount Rushmore. Der Lakota Chief Standing Bear wollte, wie er sagte, den Weißen zeigen, dass auch die Indianer Helden hatten. Das Monument hat gigantische Abmessungen, ist allerdings erst zu einem kleinen Teil fertiggestellt. Die vier Präsidentenköpfe vom Mount Rushmore würden zusammen in den Kopf von Crazy Horse passen. Das zeigt etwas die Dimensionen.

Unter den Lakota ist dieses Monument umstritten, weil es einen massiven Eingriff die Natur darstellt und hier die Fehler der Weißen wiederholt werden. Wir besichtigen das zugehörige Museum und den Souvenirshop und machen uns dann auf den Rückweg zum Reservat.

Da wir Hunger haben, machen wir in der Stadt Custer noch einmal eine Rast. Es ist bereits 21.00 Uhr und die meisten Restaurants sind geschlossen. Amerikaner essen eher früh zu Abend, aber wir bekommen noch in einem Saloon ein gutes Abendessen und können uns auch mal ein Bier gönnen. Nach dem Essen fahren wir zurück in Richtung Reservat.

Außer uns sind wenige Fahrzeuge unterwegs und außer unserem eigenen Licht ist alles dunkel. Plötzlich erscheint im Scheinwerferlicht eine Hirschkuh (white tail deer), die die Straße überqueren will. Alles geht blitzschnell und wir haben keine Chance mehr den Zusammenprall zu verhindern. Ein heftiger Schlag und alles ist vorüber.
Auf dem Parkplatz des Casinos zeigt sich dann, dass der Kühlergrill unseres Tourbusses Schaden genommen hat und der linke Kotflügel eingebeult ist. Ansonsten waren keine Schäden festzustellen, wir gehen aber davon aus, dass das Tier den Zusammenstoß nicht überlebt hat.

Wieder war es ein langer und anstrengender Tag und wir fallen hundemüde um 24.00 Uhr gleich nach der Ankunft ins Bett.

4. Tag:
Heute stehen das Einkaufen für das morgige Cookout und die Ankunft der Crazy Horse Rider in Pine Ridge auf dem Programm. Unsere Abfahrt verzögert sich etwas, weil wir beim Frühstück noch Großmutter Jenny Parker und ihren Sohn Ross, beides Cheyenne kennenlernten.

Grandma Jenny ist eine Nachfahrin eines der Überlebenden des Exodus von Fort Robinson der Cheyenne, bei dem viele umkamen. Sie ist auch eine der Organisatorinnen und UnterstützerInnen des Little Big Horn Rittes. Außerdem ist sie im Cheyenne College aktiv, hat mit ihren 78 Jahren viel Humor und ist einfach eine tolle Frau. Sie richtet auch den ersten Tag nach dem Start des Little Big Horn Rides aus und finanziert dort die Verpflegung. Wir haben uns an dem Büffel, den sie für diesen Zweck kauft, finanziell beteiligt und werden auch als Spender bei der Veranstaltung genannt.

Dann sind wir losgefahren zum Einkaufen nach Chadron, einer Stadt jenseits der Staatsgrenze in Nebraska und kauften dort bei Walmart für rund 500 $ Lebensmittel ein, denn wir erwarten etwa 50 Gäste. Wir kamen dann gerade noch rechtzeitig zurück zu  Wendells Haus, um auszuladen und gleich darauf zum Ankunftsort der Reiter des Crazy Horse Rittes zu fahren.

So gegen 20 Uhr kam dann die Reiter (etwa 200) und ritten mit ihrem Pferden an den Zuschauern vorbei zu dem Festplatz, an dem sonst Powwows stattfinden. Es wurde bereits dunkel.
Anschließend fuhren wir zurück zum Casino und kamen um etwa 22 Uhr an.

5. Tag:
Heute steht das große gemeinsame Kochen, das Cook out an und wir erwarten etwa 50 Gäste aus Wendells Familie und Freundeskreis.

Gegen 10 Uhr fahren wir raus zu Wendell. Die Frauen kümmern sich um die Küche und die Männer haben die Aufgabe, das Lager aufzubauen.


Das Kochen der Kartoffeln und der anderen Speisen nimmt viel Zeit in Anspruch da wir große Mengen vorbereiten müssen, und Wendells kleine Küche an ihre Grenzen stößt.
Es ist sehr heiß, ungefähr 34 Grad und die Arbeitsmotivation ist entsprechend begrenzt. In Wendells Trailer gibt es wenigstens eine Klimaanlage für die Köchinnen. Nach und nach bauen wir das Buffet auf und wir rechnen damit, dass die Gäste ab etwa 15 Uhr kommen werden.

Wie immer fehlt natürlich irgendetwas, wie das hier üblich ist und in diesem Fall fehlt uns Gas, so dass wir erst noch in einen nächstgelegenen Ort fahren und Gas zu kaufen. Als wir zurückkommen, ist bereits Chubbs, der Onkel von Wendell da, der 2017 auch mit bei der Vortragstour in Deutschland war. Chubbs ist ein traditioneller Lakota, der sich auch in spirituellen Zeremonien gut auskennt und uns einiges über die Lakota Welt und die Lakota Spiritualität erklärt.

Nach und nach trudeln immer mehr Gäste ein und mit ihnen auch viele Kinder in allen Größen. Die Kinder kommen auch zu uns und irgendwann habe ich drei kleine Lakota Mädchen an mir hängen oder auf mir liegen, die mit mir herumalbern bis es ihnen zu langweilig wird und sie dann wieder lieber mit den anderen spielen gehen.
Mir fällt auf, dass die Kinder zwar sehr lebendig und überall unterwegs sind und auch uns gegenüber keine Hemmungen zeigen, dass aber das sonst so übliche Kindergekreische und Geschrei und Streiten hier kaum vorkommt - zumindest habe ich diesen Eindruck. Auch die Erwachsenen in unterschiedlichen Altersklassen, die kommen, wirken ruhig und entspannt. Wir stellen uns gegenseitig vor und die Leute sitzen auf ihren Stühlen essen, unterhalten sich, aber es ist insgesamt eine sehr ruhige und entspannte Atmosphäre.

Chubbs leidet das Abendessen mit einer Zeremonie ein, er dankt auf Lakota den Spirits und opfert etwas essen, das dann in die Natur gestellt wird für die Geister, die Spirits, die spirituellen Entitäten, die uns umgeben.
Dann kommen alle und gehen reihenweise durch das Buffet und jeder nimmt sich, was er essen mag. Ich esse zum ersten Mal hier das berühmte Frybread, also ein in Fett gebackenes Hefegebäck, das man hier als Unterlage für die Indian Tacos nimmt. Nicht schlecht, aber ein Dickmacher erster Güte.

Nach dem Essen gibt es wieder eine Zeremonie, denn heute haben zwei Geburtstagskinder, Wendelin, aus unserer Gruppe und ein einjähriges Baby von Ashley, Wendells Tochter.

Chubbs schlägt die Trommel und singt dazu in Lakota und begrüßt die Geburtstagskinder. Anschließend gibt es noch eine Danksagung an uns, die Ausrichter dieser Feier und zum Schluss noch ein Freundschafts- oder Heilungslied, bei dem er uns auch auffordert, dazu zu tanzen, im Sidestep dance.
Tatsächlich sind es dann nur wir Deutschen, die zu seinem Lied, seinem Gesang tanzen, während die Lakota auf ihren Stühlen sitzen bleiben und die Kinder weiter rumspielen und die Erwachsenen sich unterhalten.

Chubbs tut mir ein wenig leid, denn ich weiß, wie wichtig ihm diese traditionellen Dinge sind und wie sehr es ihn wahrscheinlich stört, dass seine eigenen Leute hier so wenig Interesse an den Traditionen zeigen. So sagt Cornell, einer der anwesenden Ältesten dann auch zu seinen Leuten, jetzt müssten extra die Deutschen hierherkommen und ihnen zeigen wie man Lakota tanzt…

Für mich ist das ein Zeichen, dass leider die alte Kultur der Lakota tatsächlich am Aussterben ist, weil viele der heute Lebenden einfach nicht mehr den Bezug zu ihrer ursprünglichen Lebensweise haben und damit auch nicht mehr zu den Traditionen, die zu dieser Lebensweise gehören. Auch unsere „Alten“ beklagen ja, dass „die Jugend“ bloß noch Facebook & Co. im Kopf hätte.

Nach und nach wird es dunkel und am Horizont ziehen Gewitter auf, die uns aber nicht treffen. Es gibt ein beeindruckendes Wetterleuchten und wir sitzen noch lange Zeit am Lagerfeuer.

Birgit 2 und ich unterhalten uns lange Zeit mit Cornell. Er ist ein ehemaliger Stammesratsvorsitzender, also so etwas wie ein Ministerpräsident bei uns. Früher bei der Armee war er in Vietnam und verschieden anderen Kriegsschauplätzen und er besuchte mit  Wendell auch bereits Deutschland auf einer Tour und ist sehr be-eindruckt von den Deutschen und ihrem Land – und dem Bier…

Gegen 23 Uhr packen wir zusammen und fahren zurück ins Hotel. Wir müssen am nächsten Morgen noch einmal hierherkommen und aufräumen.

6. Tag:
Heute geht es zu einem Powwow – dem Veterans Powwow, zu Ehren der Lakota-Militärangehörigen.
(Bekanntlich stellen „die Indianer“ relativ zu ihrem Be-völkerungsanteil die meisten US-Soldaten).

Powwows sind Tanzfeste, die sich aus den traditionellen Tänzen heraus entwickelt haben und heute in ganz Amerika von den unterschiedlichen Stämmen organisiert werden. Das Veteranen Powwow in Pine Ridge ist ein eher kleineres Powwow zu Ehren der Veteranen der amerikanischen Armee.

Wir treffen uns relativ früh zum Frühstück und fahren zu Wendells Grundstück, um dort aufzuräumen. Gegen 11 Uhr geht es dann los zum Powwow Gelände, wo wir im Schatten einiger Bäume parken, weil wir vor dem Powwow auch noch die Parade miterleben möchten.
So eine Parade ist vergleichbar einem Faschingsumzug bei uns, es gibt geschmückte Wagen mit den jungen Mädchen drauf, die als Schönheitsköniginnen oder für andere Rollen ausgewählt wurden. Und es gibt Bonbons, die unters Volk geworfen werden, eben wie bei uns an Fastnacht.

Nach der Parade suchen wir uns einen Platz auf dem Powwow Areal, das kreisförmig angelegt ist. Die Zuschauer sitzen dort unter schattenspendenden Überdach-ungen, die Tänzer allerdings stehen in der vollen Sonne – bei 36° C.

Zuerst kommt der große Einzug, das „Grand Entry“, den die Veteranen anführen, gefolgt von sämtlichen Tänzern, die an diesem Tag auftreten werden - ein farbenprächtiges Bild, aber leider dürfen wir dabei weder filmen noch fotografieren.

Generell ist bei spirituellen Zeremonien und Gebeten Filmen und Fotografieren unerwünscht, was zu respektieren ist.

Nach dem Grand Entry beginnen die einzelnen Tänze, die wir dann auch filmen und fotografieren dürfen. Die Tänze sind eingeteilt in verschiedene Tanzstile wie Fancy Shawl,  Jingle Dance, Traditional, Grassdance und in verschiedene Altersgruppen, die jeweils einzeln bewertet werden.

Das eigentliche Tanzareal ist umgeben von Ständen, wo man in erster Linie etwas zu essen kaufen kann, teilweise aber auch Schmuck oder Kleidung verkauft wird. Das Ganze ist auch ein Jahrmarkt, hier wird nicht nur getanzt, hier trifft man Freunde und Familie, hier gibt's Gelegenheiten, sich auszutauschen und einfach einen schönen Tag gemeinsam zu verbringen.
Die Tänze ziehen sich über den gesamten Vormittag und einen Teil des Nachmittags bis etwa gegen 17 Uhr die Flaggen eingeholt werden in einer militärischen Flaggen-Zeremonie und anschließend dann die Veteranen wieder aus dem Areal hinausziehen.
Damit ist dieser Teil des Powwow erst einmal beendet. Gegen später beginnt aber ein zweiter Teil, der sich dann typischerweise bis nachts um 11/12 Uhr hinzieht.

Uns reicht es aber für heute und wir beschließen noch essen zu gehen und versuchen Wendell zu erreichen, ob er und Loreal mit uns gehen. Da wir Wendell nicht erreichen und auch noch einige von den Kindern bei uns sind, beschließen wir direkt zu ihm zu fahren, die Kinder abzugeben und zu schauen, ob er zu Hause ist.
Wir besuchen dabei Misty und Jennifer, die nicht weit entfernt auf der anderen Seite der Straße wohnen und verabschieden uns auch von ihnen, weil die meisten von uns morgen abreisen werden bzw. nicht mehr zur Familie Yellow Bull kommen.

Das ist noch ein sehr bewegender Moment. Misty trauert noch um ihre Mutter, die vor zwei Jahren gestorben ist und sie schenkt uns allen Schmuckstücke ihrer Mutter. (Bei den Lakota ist es üblich, den ganzen Besitz eines Verstorbenen zu verschenken und/oder zu verbrennen. Früher wurde der Name der Person auch nicht mehr ausgesprochen).

Wir fahren zu Wendell, der auch zu Hause ist. Er möchte allerdings mit Loreal nicht mit zum Essen gehen, sondern meint, es wäre noch genügend Essen vom Vortag da und wir sollten einfach noch etwas in der Stadt einkaufen und dann gemeinsam hier bei ihm zu Hause essen. So bauen wir dann in der Küche ein kleines Buffet auf und jeder nimmt sich etwas, setzt sich irgendwo hin und isst.

Während die anderen raus auf die Terrasse gehen, bleiben Wendell und ich im Haus sitzen und haben jetzt mal Gelegenheit, uns ein bisschen länger zu unterhalten. Wir reden über seine Militärzeit, über unser gemeinsames Interesse für Outdoor-Aktivitäten und Wildniscamps, über Heilpflanzen und Zeremonien für Heilpflanzen.
Schnell vergeht die Zeit und draußen Dunkelt es und die Gruppe will schon zurückfahren. Wendell braut uns noch zum Abschied einen speziellen Pfefferminztee aus Wildpflanzen, den sie auch für Zeremonien einsetzen.

Für Andrea, Birgit 1 und TC ist das dann auch der Abschied, denn sie fahren morgen nach Rapid City zurück, bleiben dort noch einige Tage und fliegen dann zurück nach Deutschland.
Wir anderen bleiben noch etwas länger, wechseln nur morgen die Fahrzeuge aus, so dass wir einen eigenen Leihwagen haben. So etwas wie einen endgültigen Abschied gibt es für Lakota nicht. Lakota sagen „toksa ake“, was so viel bedeutet wie „see you later oder see you again“ oder „bis wir uns wiedersehen“.

Wir kehren dann anschließend ins Casino zurück.

Am nächsten Tag fahren wir zusammen nach Rapid City – und verabschieden die Heimkehrer. Damit endet der „offizielle Teil“ dieses Besuchs im Lakota-Land. Wir, Birgitt 3, Birgit 2, Reiner und ich bleiben noch sieben weitere Tage und besuchen die Badlands, Bear Butte und gehen mit Richards Shermann, dem Lakota-Biologen und Ethno-Botaniker auf eine Exkursion.

Zusammenfassend:
Das Lakota-Land ist schon beeindruckend, obwohl mir hier mein Schwarzwald fehlen würde. Vor allem aber haben mich die Menschen beeindruckt, ihre Ernsthaftigkeit, ihr Humor, aber auch ihre Freundlichkeit und Gesprächsbereitschaft. Nie wurden wir geschnitten oder – spürbar – abgelehnt. Überall, wo wir hinkamen, trafen wir auf Interesse. Und das nicht nur bei denjenigen, die uns als Unterstützer kannten, sondern auch bei Besuchen in Museen und selbst beim Tanken.
Es ist traurig, dass immer noch so viel wirkliche Armut herrscht, aber auf der anderen Seite haben sie sich trotzdem noch viel an Würde erhalten. Ich hoffe, sie können sich auch zukünftig einige ihrer Charakteristiken und Traditionen bewahren – und Lakota bleiben.

Rudolf Hege, Juno 2018.


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